Die Angst vor der Konsequenz

Das Training und die Ausbildung eines Hundes erfordert von uns, Verhaltensweisen zu erlernen, die unser Hund verstehen kann, was uns vor neue Herausforderungen stellen kann.

Die erste Version dieses Artikels schrieb ich in 2012. Bei der gedanklichen Umsetzung stellte sich schnell heraus, dass es ein komplexes, aber sehr spannendes Thema ist, was lohnt angeschaut zu werden. Es hat viel mit unserer Grundhaltung und gesellschaftlichen Normen zu tun, es umfaßt also mehr als Hundeerziehung, sondern geht tiefer. Wahrscheinlich könnte man dazu mehr schreiben als es jetzt ist, aber auch das ist schon eine Menge Stoff.

So hat sich die Hundehaltung und -erziehung weit entfernt von der vor, sagen wir mal, 50 oder sogar 20 Jahren. Die Gesellschaft hat sich weiter entwickelt. Und, auch, wenn Tiere immer noch vor dem Strafgesetz Sachen sind (hier besteht tatsächlich ein riesiger Handlungsbedarf) leben sie heute fast immer in Familien und gehören dazu wie ein Familienmitglied. Bis hierhin klingt es nach einer wunderbaren, harmonischen Geschichte mit Happy-End und, das ist es in ganz vielen Fällen auch. Damit könnte ich eigentlich schon wieder aufhören, wenn es nicht diese Kehrseite gäbe.

Es gibt sie und nicht zu knapp: Missverständnisse zwischen Mensch und Hund. Ist auch nicht ungewöhnlich, muss man erkennen, kann man dran arbeiten.
Hunde sind Rudeltiere, und ja, eine menschliche Familie kann durchaus mit einem Rudel verglichen werden. Aber, Menschen sind keine Hunde – und Hunde keine Menschen. Ich denke, darüber besteht Konsenz. Und trotzdem, genau an dieser Stelle beginnen oft die großen und kleinen Sandkörner das Getriebe zum Stocken zu bringen, denn viele Menschen gehen sehr vermenschlicht mit dem Thema Hund und Erziehung um, es fehlt oft Erfahrung und auch die Fähigkeit zu spüren, was Hunde wirklich brauchen. Hunde hingegen sind nicht verkopft, sie handeln instinktiv – immer.

Wie schrieb ich eingangs: Hunde sind Familienmitglieder! Und weiter: Hunde sind keine Menschen. Und, beides stimmt. Und, damit aus diesen zwei sehr unterschiedlichen Wesen ein harmonisches Miteinander wird, müssen wir uns nicht in einen Hund verwandeln, aber ein wenig „hündisch“ kann schon helfen.

Legen wir an Hunde die moralischen Grundsätze, Wünsche und Vorstellungen an, die wir von einem idealen Zusammenleben haben, dann wird unser Hund mit vielen Fragezeichen im Kopf da sitzen. Die Erziehung eines Hundes stellt tatsächlich neue Anforderungen an uns, denn wir müssen Verhaltensweisen annehmen und erlernen, die darauf zugeschnitten sind, dass unser Hund sie versteht. Ausnahmen davon gibt es, Menschen, die eine extrem gute Intuition gegenüber Tieren haben, aber sie sind selten geworden in unserer Gesellschaft. Und, gerade Menschen, die erst spät zum Hund kommen, müssen lernen umzudenken. Hunde kommunizieren anders, u.a. weil ihr Instinkt ihnen ganz klar vorgibt, wie sie zu handeln haben um ihre Vorstellung von einem guten Leben zu erreichen. Hunde sind Opportunisten (Link zu Wikipedia). Ein „Tut mir leid“ wird es nicht geben, ein „Mache ich nächstes Mal besser“ auch nicht, Diskussionsrunden wie wir sie kennen fallen weg. Wir betreten ungewohntes Terrain.

Hunde sind hochsoziale Wesen mit einer großartigen Fähigkeit sich anzupassen und ihr/e Gegenüber (egal ob Hund oder Mensch zu lesen – damit sind sie uns um einiges voraus). Sie leben seit Anbeginn ihrer Existenz in Rudeln oder dann irgendwann in der Nähe des Menschen. Ein gutes Rudel (von Hunden) funktioniert, wenn sich alle sich so in das soziale Gefüge einpassen, dass das Rudel save ist. Einer führt in der Regel, es muss nicht der stärkste sein, sondern ist meistens der mit der größten Souveränität und Erfahrung. Führung heißt aber auch, mal unbequeme Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, Führung bedeutet auch Verantwortung zu übernehmen.

Fast immer sucht sich ein Hund nicht aus, wo er leben möchte. Egal, ob er auf der Straße, bei einem Züchter, bei einem Vermehrer oder in ein wildes Rudel hinein geboren wird.  Er kann sein Überleben nur sichern, das ist ein ganz elementarer Instinkt, in dem er sich anpaßt. Sich im Rudel mit dem Stärkeren anzulegen, ist meistens keine gute Idee, wird manchmal angetestet, aber bei entsprechender klarer Antwort, hat es sich dann auch erledigt.

Für uns Menschen bedeutet es, dass ein Hund ein Hund ist und vor allem bleiben darf, er muss seinen Platz in diesem „menschlichen“ Rudel kennen, dies müssen wir ihm vermitteln. Und, unser Hund braucht diese Positionierung, denn genau so kann er sich sicher fühlen und entspannter durch sein Leben gehen. Warum ist das wichtig? Hunde kennen keine von Menschen für Menschen gemachten gesellschaftlichen Regeln und Verhaltensweisen, sie wissen nicht, dass man bei Rot an der Ampel hält, Fahrradfahrer kein Wild sind, man sich nicht beim Familienessen auf den Tisch setzt, weil man besser ans Essen kommt 😉 und man als HSH seine Familie nicht bis aufs Messer verteidigen muss, auch, wenn sie vielleicht seine einzige Herde und somit Aufgabe sind. Schlicht, er kann nicht wissen, was wir wollen oder nicht, darum müssen wir hier helfen und erziehen.

Womit wir schon wieder ein anderes Thema anschneiden, dies aber hier auszuführen, würde den Rahmen endgültig sprengen. Trotzdem sei es erwähnt: Viele unserer Hunde hatten früher Aufgaben, sie wurden für bestimmte Tätigkeiten gezüchtet, es sind Spezialisten. Selbst ein Mischling ist häufig eine Ansammlung von Wesenszügen, die durch Selektion entstanden sind. Ein Strassenhund z.B. ist es gewohnt so zu leben, oft über Generationen, dies prägt seinen Charakter. Diesen vers. Aufgaben geht nur noch ein Bruchteil unserer in Familien lebenden Hunden nach, was wiederum bedeutet, diesen Hunden fehlt eine ihnen entsprechende Aufgabe und zumind. ein Ersatz dafür. Eine Rasse „Familienhund“ gibt es nicht, ein guter Familienhund entsteht durch artgerechte Haltung und Auslastung. Bekommen diese Hunde keine Aufgaben sind sie zusätzlich, neben den Mißverständnissen, oft geistig nicht ausgelastet.

Warum schreibe ich das so? Weil viele Hunde, die mit Hoffnungen und Wünschen unsererseits angeschafft wurden, oft zutiefst mißverstandene Wesen sind. Corona hat auf die Spitze getrieben, was zwar vorher schon existierte, aber nicht in dieser Ausprägung. Nämlich, dass Hunde angeschafft wurden, oft ohne sich selbst darüber im klaren zu sein, was das eigentlich bedeutet, welche Verantwortung man übernimmt. Viele Menschen stehen mittlerweile vor einer Situation, mit der sie nicht gerechnet haben, die sie oft wirklich falsch eingeschätzt haben. (Und sie offensichtlich auch im Vorweg nicht ausreichend beraten wurden. Seriöse Züchter hinterfragen sehr genau, wie die Lebensumstände sind, warum der Hund angeschafft wird und was man mit ihm „macht“.) Denn, was sich als wunderbare Ergänzung in einer Zeit, in der man sich viel mit der Familie, Homeoffice und mit Spaziergängen im Freien beschäftigt hat, so richtig gut anfühlte, hat sich bei vielen zu einer unlösbaren Lebenssituation entwickelt. Erschwerend kommen Trends hinzu, die „Herdenschutzhunde (HSH)„, „Mixe von was auch immer (Designerrassen sog.)“ und „Auslandshunde mit unbekannter Vergangenheit“ heißen.

Die Ursachen sind vielfältig. Zum einen die Wahl der falschen Rasse (das ist aber ein anderes Thema), zum anderen die Idee, dass sich alles schon fügen wird in der Zeit, in der man mehr Zeit hat. Eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, eine Unterschätzung des Wesens Hund. Und, je weniger Verständnis für das Wesen von Hunden und auch der speziellen Charakterzüge eines einzelnen Hundes vorhanden ist umso schwerer wird es diesen Hunden fallen, sich vertrauensvoll zu integrieren. Wir erinnern uns an die Eigenschaften eines Rudelführers: Souverän und erfahren. Ganz extrem können diese Defizite dann bei Hunden zum Tragen kommen, die nicht aus unseren Breitengraden stammen (z.B. HSH) oder mit schlimmer Vergangenheit zu uns gekommen sind. Diese können oft – ab einem bestimmten Lebensalter durch Fehlprägung – und/oder -erziehung – nur noch von Experten geführt werden oder landen lebenslang im Tierheim, weil sie unvermittelbar sind. Familien sind damit hoffnungslos überfordert.  Selbstverständlich gibt es immer die Ausnahmen, glücklicherweise, aber Fakt ist:

Es sind viel zu viele Hunde, die abgegeben wurden oder noch abgegeben werden, weil die Menschen mit ihnen nicht klar kommen. Macht Euch mal Gedanken darüber, was mit diesen Hunden passiert, die im Tierheim sitzen oder nicht mal mehr einen Tierheimplatz finden. Was passiert mit ihnen, haben diese Hunde noch eine Perspektive? Wie viele verzweifelte Rufe von solchen Auffangstationen und Tierheimen habe ich gelesen, sie müssen ablehnen, sie können nicht mehr, die Kapazitäten sind erschöpft. (Ich empfehle hierzu auch einen auf dieser Seite veröffentlichten Artikel: Ruf  doch mal in Lübeck an.“)

Es wäre sicher gut, wenn sich zukünftige Hundehalter nicht nur von ihrem Wunsch leiten lassen würden, einen Hund haben zu wollen, sondern sich im klaren darüber sind, was dies bedeutet. Es soll ein Hund sein, unbedingt, dann denkt darüber nach, was für einen Hund ihr wirklich händeln könnt. Ein Kangal ist als Welpe unfaßbar niedlich (welcher Welpe ist das nicht?), aber als erwachsener Herdenschutzhund ist dieser eher nicht geeignet für ein Leben in der Stadt(wohnung). Ein Hund ist ein Lebewesen mit anderen Bedürfnissen als ein Mensch, und je nach Rasse hat er bestimmte Eigenschaften besonders ausgeprägt. Der Parson ist ein Jagdgebrauchshund, das vergißt er nicht. Alle Herdenschutzhunde sind genau das. Moderassen, wie z.B. Weimaraner mal Labrador (damit wir silberne Labis bekommen) sind nicht das beste von beidem, und wenn doch, haben wir einen starken Jagdhund, der sehr gerne Dummyarbeit macht, eine Kombination, die auch erfahrene Hundehalter überfordern kann. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
Hier ist es immer empfehlenswert, sich vorher von erfahrenen Menschen beraten zu lassen, die im Zweifel auch sagen: Laßt es!  Will man nicht hören, ist aber vielleicht mittelfristig die bessere Lösung.
Ein Hund braucht Liebe, ja, natürlich. Für mich der größte Liebesbeweis ist aber nicht, dass er bei mir im Bett schläft (was er bei mir darf) oder ich ihn immer knuddeln möchte. Der größte Liebesbeweis ist meine Akzeptanz dem Wesen Hund gegenüber, dass ich an mir arbeite, damit sein Leben in unserer Gesellschaft für ihn UND seine Menschen stressfrei verläuft. Er alleine kann das nicht schaffen, lassen wir ihn alleine, haben wir am Ende der Leine irgendwann einen Problemhund, je nach Typ. Und, dieser wurde nicht so geboren, wir haben ihn dazu gemacht. Oft unwissentlich und ohne böse Absicht, was aber am Resultat erstmal leider nichts ändert.

Hunde brauchen gemäß ihres Wesens, genau wie im Rudel, eine klare Struktur, benötigen Konsequenz im Umgang, klare Linien, nicht heute so, morgen so, sie brauchen Grenzen und sie müssen wissen, wo ihr Platz ist. Möchte ich ein Verhalten nicht, muss ich das auch klar machen. Dies muss nicht hart, aber verständlich und schnell sein. Im Gegenzug feiern wir sie, wenn sie was gut machen. Es braucht immer beides. Und, bereits an der Stelle mit den Grenzen und Konsequenz zucken die meisten zurück, als wäre es ein Tabu. Scheinbar haben viele von uns verlernt, auch mal klar NEIN oder auch klar JA zu sagen. Die Grauzonen, in denen sich viele Hundebesitzer ihren Hunden gegenüber bewegen, hilft dem Hund nicht, grau ist keine Farbe, die er versteht. Er denkt nicht darüber nach, was er als nächstes machen wird, er tut es. Es sei denn, es sagt jemand JA oder NEIN. Eigentlich ganz einfach. Vielen Menschen ist der normale Umgang von Hunden untereinander fremd geworden, deshalb kann es hilfreich sein, den Umgang untereinander zu beobachten, es ist mehr als lehrreich. Ihre Körpersprache ist so glasklar, dass die sich auch ohne große Gesten verstehen, manchmal genügt ein Blick oder die reine Körperspannung. Und, wenn der nicht genügt, werden auch mal die Zähne gezeigt. Da wird nicht lange diskutiert, sondern schnell und klar agiert. Ist für Hunde nachvollziehbar, da hat auch keiner irgendwie dann ein Problem mit. Wir können extrem viel von ihnen lernen. Beleidigt sein ist keine Eigenschaft von Hunden. Das ist menschlich, ebenso wie unser tiefster Wunsch nach Harmonie. Die erreichen wir aber nur, wenn wir eine klare Haltung haben und diese unserem Hund verständlich machen können.

Das mag sich alles erstmal unbequem anfühlen, weil ihr innerlich daran zweifelt, ob es wirklich richtig ist. Aber, schaut hin und beobachtet, lernt Eure Hunde lesen, dann seid ihr auf dem richtigen Weg. Seid konsequent und nachvollziehbar für Eure Hunde, gebt ihnen Struktur und Beständigkeit, damit schafft ihr Vertrauen, feiert sie, wenn was Neues erlernt wurde, sie Dinge zeigen, die Euch positiv überraschen. Bietet ihnen ein artgerechtes Leben mit entsprechender Auslastung, arbeitet mit ihnen, werdet ein Team. Traut Euch auch mal klar zu sagen: So nicht! Das will ich nicht! Ihr werdet spüren, wie sich das Verhältnis zwischen Euch und Eurem Hund langsam, aber nachhaltig ändert, durch klare Strukuren Vertrauen und ein Fundament wächst.

Habt keine Angst etwas zu tun, schlimmer ist es, nichts zu tun, euren Hund in einer aussagefreien Nische allein zu lassen, aus der er sich dann durch eigene Handlungen und Entscheidungen befreit. Holt euch (kompetente) Hilfe und zwar zeitig, wenn ihr unsicher seid. Gebt eurem Hund einen sicheren Rahmen, den er versteht. Ihr dürft ihn lieben, von Herzen, das tun wir alle, aber seid auch stark für ihn, damit er Vertrauen haben, loslassen und sich entspannen kann. Denn daraus resultieren dann auch wieder neu gewonnene Freiräume, für beide, Hund und Mensch. Und, das ein Leben lang. So geht ihr euren Weg sicher zusammen.

© Christiane Jantz 2012 – 2024 – Weiterverbreitung, Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Autorin. Verlinkungen sind gern gesehen.
Literatur zum Thema Erziehung

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